Quelle: www.dfb.de/neue-spielformen-im-kinderfussball/materialien-zum-download/

Erklärungen, Irrtümer, Fragen und Infos rund um den "neuen" Kinderfußball

Ein Betrachtung von MIRKO SCHUBERT

Kaum ein Projekt des DFB wurde/wird so vielfältig betrachtet und diskutiert wie der "neue" Kinderfußball. Der "neue" setze ich mal bewusst in "Gänsefüßchen", denn schon da fangen die Irrtümer und Unkenntnisse an, die ich hier mal angehen möchte. Grundsätzlich möchte ich vorweg nehmen, das ich es total positiv finde, dass sich plötzlich so viele mit Kindertraining und damit wirklich Fußballeinstiegstraining beschäftigen, dass über Ideen für kindgerechtes Training endlich fokussiert berichtet wird. Das ist, finde ich, schon ein großer WICHTIGER Schritt.

Rückblick: Als ich Ende 1999 über meinen Sohn den Vereinsfußball kennenlernte, sprach man zumeist nur von Großfeldtraining... Kindereinstiegstraining war mehr Sache von ein paar engagierten Vätern mit Fußballkenntnissen, die dann im G/F/E Training oft das umsetzten, was sie selbst noch von ihrer "Karriere" in Erinnerung hatten - Rundenlaufen zur Erwärmung, Hütchendribbling und Torschuss (mit viel Bums hoch über den kleinen Torwart im für ihn viel zu großen Tor) und Strafliegestütze für jeden Fehlschuss. Niemand sprach groß drüber, weil Kindertraining war so bisschen die Hobbyecke und am Wochenende nach einem 10:0 ließ sich der fleißige Elterntrainer feiern, ging es 0:10 aus, kamen die Empfehlungen der anderen Eltern, die Kinder doch im Training mal härter ranzunehmen. Über Ballkontakte, Positionsrotationen und die unverhältnismäßigen 5 x 2 m großen Tore für 7 jährige Kinder sprach niemand. Aber war das Kinderfußball? Unser Jugendleiter, Herr Krause, schickte mich anno 2000 glücklicherweise gleich mal zum Trainerlehrgang, ja meine C-Lizenz ist nun schon 23 Jahre alt. Dort lernte man, dass Kindertraining KEIN adaptiertes Männer-, oder Jugendtraining ist, sondern die alters- und entwicklungstypischen Besonderheiten der G/F/E/D Jugenden auch komplett andere Inhalte und Schwerpunkte bekommen sollten. Leider war es in dieser Zeit damals eher die Ausnahme, das in den Vereinen an Kindermannschaften ausgebildete Trainer ehrenamtlich aktiv waren.

Schon damals waren 2 gegen 2, 3 gegen 3 oder 4 gegen 4 Trainingsturniere auf kleine Hütchentore, sogenannte Champions League Wettkämpfe wichtige Trainingsempfehlungen, die ich fortan in allen Alterklassen bis zur A-Jugend immer wieder umgesetzt habe. Viele Trainerinnen und Trainer konnten sich zunehmend genauso für diese Trainingsformen begeistern, denn da war alles drin: Viel Wettkampf, schnelle Aktionen, ständige Zweikämpfe und jeder musste gleichermaßen verteidigen und angreifen, also umschalten. Kreative Trainer fanden schnell so viele Varianten, so dass man die Kinder und Jugendlichen mit der gleichen Grundidee immer wieder neu fordern und überraschen konnte. Irgendwann kam dann der Begriff FUNino auf, in dem nicht zufällig das Wort FUN =  Spaß steckt, in der Verkindlichungsform "-ino" = Spaß für Kinder.

Ab Mitte der 2010-Jahre wurde dieses FUNino unter den Kindertrainern immer populärer. Dank neuer DFB-Ausbildungsmöglichkeiten und der Qualitätsentwicklungen in den meisten Vereinen sind nun längst auch Kindertrainer nahezu überall gut geschulte und zumeist lizensierte Trainer, die altersgerechtes Training und vielseitige Ausbildung ohne reine Ergebnisorientierung in den Mittelpunkt ihrer ehrenamtlichen Arbeit stellen. So begannen in den Berliner Bezirken (Pankow war hier einer der Berliner Vorreiter) sowie in vielen anderen Landesverbänden (u.a. Hamburg) vielfältige Funino Pilotprojekte. Wenn man also von dem "neuen" Kinderfußball spricht, dann war hier irgendwann, irgendwo und irgendwie seine Geburtsstunde.  Nicht im "Elfenbeinturm" des DFB sondern auf den Plätzen in den Vereinen. Der DFB hat nicht etwas übergestülpt oder plötzlich aufgezwungen, die Trainerinnen und Trainer der Vereine haben etwas in Gang gebracht. Gespielt wurde damals Woche für Woche noch in dem, wenig kindgerechten, vom Fußballverband organisierten Pflichtspiel-Ligabetrieb. Zusätzlich organisierten die Trainerinnen und Trainer Funinofeste, die mit viel Begeisterung tolle Abwechslung für die Kinder brachten.

Die Landesverbände und der DFB griffen diesen Trend auf und entwickelten dafür im Dialog mit den Vereinen Strukturen. Besonders das BFV-Team um Marcel Liske und Uwe Blaschke leistete hier viel Pionierarbeit im Verband, wo der Kinderfußball bereits 2019/2020 Teil der Projektarbeit der AG Zukunft (Future BFV) mit den Vereinsvertretenden war. In Berlin beschlossen die Jugendleiter/innen der Berliner Vereine 2021 auf dem Jugendverbandstag, die Umstellung des Spielbetriebs in der G-Jugend auf Funino, welchen man inzwischen längst Kinderfußball nannte. Um es also nochmal klar zu sagen, nicht der BFV oder der DFB gab etwas vor, sondern die Berliner Vereine haben mit deutlicher Mehrheit für diese Umstellung/Einführung gestimmt und diese aktiv beschlossen. 

Der DFB arbeitete parallel an der Reform des Kinderfußballs. Mit den Landesverbänden wurden die Erfahrungen der Vereine in den Pilotprojekten diskutiert, so fand auch die Berliner Empfehlung in der F-Jugend ein 4 gegen 4 zu spielen und nicht von 3 gegen 3 auf 5 gegen 5 zu gehen, Einzug in die Regularien. In dieser Zeit vertrat ich den Berliner Landesverband (BFV) als Jugendausschussvorsitzender in den DFB-Gremien und war aktiver Teil dieses Prozesses, bei dem in offenem Austausch der Fahrplan für die Umstellung des Pflichtspielbetriebs auf Kinderfußball der Altersklassen G bis E vorbereitet wurde.  Nach dem die Vereine den Landesverbänden ihre Zustimmung gaben, stimmten dann die Vertreter der Landesverbände auf dem Bundesjugendtag des DFB im Januar 2022 in Duisburg der schrittweisen Einführung des Kinderfußballs bis 2024 deutschlandweit zu. Uns Jugendausschussvorsitzenden der Landesverbände war an diesem Tag bewusst, welche Tragweite, welche Arbeit und auch welch kontroverse Diskussion dieser Beschluss mit sich bringt. Aber wir wussten auch, welche Chancen dieser Beschluss der kind-, alters- und leistungsgerechten Ausbildung im Breitensport bringt.  Uns war bewusst, dass wir in erster Linie die Vertreter der 80% Kinder sind, die für den Fußball als lebenslanges tolles Hobby im Breitensport begeistert werden sollen, denn diese späteren Jugendlichen und Erwachsenen prägen das Vereinsleben in unserem Land. Herr Watzke, als DFB Vizepräsident, fremdelt mit dem Kinderfußball, denn sein Blick geht offenbar nicht zu den 80%, sondern zu den weniger als 20%, aus denen mal der ein oder andere Profi aufsteigen könnte. Diese früh zu erkennen und gesondert zu fördern und zu fordern, ist eine andere Aufgabe, kann aber nicht Kern der gesamten Kinderfußballausbildung sein, denn dann würden frühzeitig viele durchs "Raster" fallen und die Liebe zum Fußball als Vereinsbreitensport nie entdecken.  Aber schauen wir uns die Fragen und Irrtümer des Herrn Watzke und vieler Anderer doch mal an:

Keine Ergebnisorientierung mehr? Doch, alle 7 Minuten gibt es ein neues Spielergebnis, einen Sieger, einen Verlierer, einen Aufsteiger, einen Absteiger und am Ende sogar einen der den Schlusssieg auf Feld 1 holt. Die Kinder lernen also sehr wohl, Erfolge und Misserfolge anzunehmen und SOFORT wieder aufzustehen und weiter zu machen. 

Es gibt keinen Ligaspielbetrieb mehr mit Tabellen! Richtig, denn jedes Spielfest ist ein Erlebnis für sich. Kein Kind muss sich mit Tabellen beschäftigen wo sein Team abgeschlagen am Ende steht, weil im Kader viele körperlich kleine Kinder sind oder besonders talentierte Ballzauberer fehlen. Die Kinder haben jedes Wochenende ein neues Fußballerlebnis und niemand sagt, "ihr müsst heute endlich mal 3 Punkte holen..." Noch wichtiger, alle Kinder können spielen, weil kein Trainer muss im Kinderfußball "taktisch" wechseln um bloß nicht ans Tabellenende zu rutschen.

Im Kinderfußball gibt es keine "richtigen" Spiele mehr? Kinder kommen zum Fußball, weil sie wie in der Bundesliga auf 2 Tore kicken wollen. Das eine schließt das andere nicht aus. Es wird nur umgedreht. Früher war das klassische Spiel auf 2 (zu) große Tore Pflicht im wöchentlichen Spielbetrieb und (Funino-)Turniere das Zusatzprogramm, welches engagierte Trainer eigenständig organisiert hatten. Jetzt ist die Turnierform des Kinderfußballs der regelmäßige Spielbetrieb, den der Landesverband organisiert und jegliche andere Form von "normalen" Fußballspielen können Vereine und Trainer untereinander vielfältig ergänzend verabreden. Es ist also NICHT verboten, parallel in Training und Freundschaftsspielen ganz klassisch auf 2 Tore einfach Fußball zu spielen.  Und da sich Woche für Woche bei den Kinderfußball-Spielefesten viele Trainerinnen und Trainer kennenlernen, ist auch das Verabreden für ein "normales" Freundschaftsspiel an kinderfußballfreien Wochenenden oft keine Schwierigkeit. 

Torhüter erst ab D-Jugend? Jein. In der G-Jugend wird nur 3 gegen 3 ohne Torhüter gespielt. Ja, das macht Sinn, denn in der ersten Phase der Grundlagenausbildung sollten alle Kinder mit dem Ball am Fuß Erfahrungen sammeln. Im Training gibt es genügend Möglichkeiten, jedes Kind auch im Tor auszuprobieren. Ab der F-Jugend sind auch Spielfelder mit Torhütern im Kinderfußball-Feldaufbau möglich. Ab der E-Jugend kristallisieren sich auch besondere Begabungen für die Torhüterposition heraus, die man gezielt fördern sollte. Zur Vorbereitung auf die D-Jugend sind parallel Testspiele in der klassischen Spielform empfehlenswert, in denen dann auch Torhüter in ihre Position hineinwachsen. Aber für die vielseitige Grundausbildung auch der späteren Torhüter ist der Kinderfußball im 4 gegen 4 und 5 gegen 5 sehr wichtig, denn im modernen Fußball hat ein Torwart weit mehr Ballkontakte mit dem Fuß als mit den Händen.

Der Feldaufbau ist so kompliziert! Man ersetze das Wort "kompliziert" mit "ungewohnt". Ja neue Wege sind anfangs ungewohnt. Die Übung machts, und mit Hilfe der Kinder und Eltern ist das auch schnell gemacht.

Es braucht so viele Tore... Jein, jedes Team bringt 2 mit. Aber niemand schreibt vor, dass auf allen Feldern alle Tore gleich sein müssen. Kreativität ist nicht verboten. Jede Art von kleinen Toren ist möglich, selbst Stangentore können gebaut werden (theoretisch kann man sogar Schulranzen hinlegen) Schließlich wechseln alle Teams auch ihre Felder, so dass die Bedingungen für alle trotzdem gleich bleiben. 

Der Ablauf ist so chaotisch... Eigentlich nicht, wenn man als Veranstalter mit allen Verantwortlichen vorher klar die Regeln anspricht (Eltern nicht direkt an den Feldern, kein aktives Coaching der Trainerinnen und Trainer, ein klar kommunizierender Spielefestleiter/Zeitnehmer)

Der Beginn verzögert sich oft, weil häufig Teams zu spät kommen... Das muss nicht sein. Dann beginnt man mit einem Feld weniger und wenn Teams nachkommen, wird einfach ein weiteres Feld aufgebaut (ggf. auch mit veränderten Maßen) und dieses Team wird dann vom neuen, letzten, Feld starten.

Die Kinderfußballfeste sprengen ständig die Zeitrahmen für die nachfolgenden Spiele auf dem Platz... Das kann passieren, wenn die Feldwechsel vom Zeitnehmer nicht klar kommuniziert werden und die Trainer dazu neigen, "Besprechungen" zwischendrin zu machen. Hier muss der Zeitnehmer klar den Ablauf im Blick behalten. Aber falls es doch passiert, kann auch jederzeit so ein Spielefest verkürzt werden. Dann fällt der letzte Feldwechsel einfach weg. Die Kinder merken es nicht, Spielzeit und Ballkontakte hatten alle auf Grund der Rotationen in jeden Spiel ohnehin.

Ich habe hier einfach mal einige Punkte aus meinen Erfahrungen zusammengetragen. Im Herbst 2021 hatte ich in Tätigkeit für den BFV eine Reihe von Kinderfußball-Pilotspielfesten in allen Teilen Berlins begleitet und als Zeitnehmer geleitet, also viele Spiele, viele strahlende Kinder, viele (auch anfangs skeptische) Trainerinnen und Trainer sowie zahlreiche aufgeregte und engagierte Eltern selbst erlebt. Ja ich habe auch viele Tore hin- und her gefahren, Netze aufgezogen und Felder aufgebaut. Von daher, ich habe es live erlebt und werde die vielen strahlenden Kinderaugen bei den Abschlussfragen jedes Spielfestes "Wer hat heute ein Tor geschossen?", "Wer hat heute ein Tor vorbereitet?", "Wer hat heute seinem Gegner einen Ball abgenommen?" oder "Wem ist heute ein Trick gelungen?" nie vergessen. Das war und ist für mich stets die Faszination Kinderfußball.

Mittlerweise hat der DFB eine Reihe von Videos zu dem Thema veröffentlicht. Dazu die folgenden Links.

Der neue Kinderfußball

Erlebe den neuen Kinderfußball

NEUE SPIELFORMEN IM KINDERFUSSBALL

Sportschau: DFB geht neue Wege - Reform im Kinder- und Jugendfußball

Die neuen Spielformen im Kinderfußball - Erklärfilm

Fußball.de: NEUER KINDERFUSSBALL: DIE GRÖSSTEN IRRTÜM

Kicker.de vom 16.10.2023: Der neue Kinderfußball: Warum die Kritik von Unwissen geprägt ist

Vielen Dank für euer Interesse. 

Blaugelbe Grüße, euer Mirko Schubert.


Ergänzend:

In der Ausgabe der Berliner Woche vom 20. November 2021 erschien ein Artikel zum Kinderfußball, in dem der Präsident unseres Berliner Fußballverbandes, Bernd Schultz, und ich (damals in der Funktion als Jugendausschussvorsitzender und Präsidialmitglied des BFV) zu dem Thema Stellung nahmen. Diese Aussagen würde ich auch aus heutiger Sicht genau so wiederholen:

Auszug:

Die Investition in den Kinderfußball ist gleichzeitig eine Investition in die Zukunft“, sagt BFV-Präsident Bernd Schultz. Die Mitgliedsvereine haben in den vergangenen Jahren mit sinkenden Mitgliederzahlen im Jugendbereich zu kämpfen. Mit den Minitoren und neuen Qualifizierungsangeboten soll der Trend gestoppt werden. Die Resonanz in den Vereinen auf die Kinderfußball-Angebote sei positiv. Statt strengem Balldrill steige die Spielfreude und die Lust auf Vereinsfußball, meint Mirko Schubert vom BFV. „Die Spielfeste schaffen neben den sportlichen Aspekten einer altersgerechten Fußballausbildung auch ein neues Klima des Umgangs, des gemeinsamen Miteinanders von Kindern, Trainern und Eltern, die gemeinsam am Spielfest teilnehmen und nicht gegeneinander ein Punktspiel austragen“, so Schubert.

Zum kompletten Artikel: Berliner Woche 21.11.2021

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